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Update from 08. 03. 2009

Update from 08. 03. 2009

Ja, es müssen brutale Videospiele sein.

Als wäre es nicht schon überholt, beschreibt ein weiter Artikel in einem seriösen Magazin Videospiele als Originalzitat "nicht nur brutal, sondern auch platt und dämlich". Diesmal nimmt sich Christian Stöcker vom Spiegel dieses Themas in seinem wenig subtil betitelten Artikels "Alien-Schlächter romantisieren die Weltkriege" an.

Im Forum dazu hauen sich selbsternannte Moralapostel ohne Einsicht in die Thematik und beleidigte Videospiel-Konsumenten die immer gleichen, alten Argumente gegenseitig an die Nicknames. Eine der berühmtberüchtigten Fragen der speziell sensiblen Exemplare ersterer Gattung ist diese: "Wie kann ein erwachsener, halbwegs intelligenter Mensch Spaß an solchen Spielen haben?" Die lockere Antwort ist natürlich, dass indem er Schein und Realität auseinanderhält er sich aufs wesentliche im Spiel konzentriert: Die Unterhaltung.

Aber warum Krieg? Warum empfinden wir (oder zumindest einige von uns) diese Blutorgien als unterhaltsam? Haben wir nicht schon genug Leid auf der Welt, dass wir es virtuell noch selbst erleben müssen, nein, machtgeil und blutlüstern es sogar noch selbst verursachen müssen? Sind wir schon so weit auf dem Weg in die Degeneration? Ich sage nein. Alles vollkommen falsch. Es ist genau andersrum.

Dass es öfter Kriegsspiele sind, ist von meinem Standpunkt aus nur eine Reflektion der Realität, ein Symptom der Gesellschafts- und Mediensituation. Als Nachrichten-Konsument erfährt man passiv die neuesten Brutalitäten aus aller Welt. Dabei kommt ob der eigenen Unfähigkeit diese zu beeinflussen ein Gefühl der Hilflosigkeit auf; dass hat jeder halbwegs sensible Mensch schon verspürt. Ich denke, brutale Videospiele sind für einen halbwegs intelligenten Erwachsenen ein Weg, mit diesem Gefühl vernünftig umzugehen. Es ist aktive (virtuelle!) Arbeit gegen dieses persönliche Hilflosigkeitsgefühl. Im Spiel wird mir zumindest für einige Zeit vorgegaukelt, ich hätte die Kontrolle über Tot und Zerstörung. In einer Welt, wo einem permanent, gierig und in möglichst riesigen Headlines berichtet wird, wo schon wieder Zehntausende hingemetzelt wurden und gleichzeitig die Politik lieber Milliarden in marode Finanzgiganten schaufelt, gibt ein bisschen Kontrollgefühl durchaus persönliche Zuversicht, selbst wenn es unecht ist. Die Alternative dazu wäre im schlimmsten Fall Lethargie und Depression, wollen wir das?

Warum so blutig? Nun ja, ein Kriegsspiel mit Teletubbies und Wasserpistolen wird ob dieses täglichen Vergleichs mit den Bildern "echter" Medien als lächerlich abstrakt empfunden. Daher ist es unfähig, die nötigen Emotionen zu erwecken und kann diese Rolle logischerweise nicht übernehmen. Ein bizarres Detail an der gesamten Tatsache des virtuellen Blutes ist vermutlich die, dass die, die am lautesten nach mehr davon schreien, zu den Hilfloseren in der Gesellschaft gehören: Jugendliche und Aussenseiter.

Nein, sie sind nicht für Kinder.

Dass diese Thematik deshalb aus der Sicht eines Jugendlichen oder Kindes ganz anders aussieht, ist klar. Ein Kind ist erst dabei die Welt zu begreifen und ein Jugendlicher versucht seine eigene Identität zu erkennen. Die Frage, ob eine Aussetzung dieser Halbwüchsigen dieser Thematik eine gute Idee ist, ist Aufgabe der Psychologie, hier kann ich nur mutmaßen (Gefühlsmässig spreche ich mich wehement dagegen aus). Aber wie gesagt in unserer Welt ist das sowieso nur mehr eine theoretische Frage. Kaum ein aktuelles Magazin, Filmposter oder Internetportal kann inzwischen komplett auf die Darstellung von Gewalt verzichten. Es ist unmöglich das Stimulationspotential von blutigen Messerschneiden, Einschusslöchern und gebrochenen Knochen zu ignorieren; schon allein aus der Notwendigkeit heraus, in der schieren Masse des Angebots nicht vollständig unterzugehen. Das ist eine der dunklen Facetten einer Informationsgesellschaft.

Es ist daher inzwischen sinnlos den Versuch zu starten, das eigene Kind davon fernzuhalten und den Einfluss andererseits zu ignorieren könnte fatal enden. Die dritte Alternative, sich mit beidem (also Kind und Gewalt) gleichzeitig auseinanderzusetzen, ist die Aufwendigste und widerstrebt den meisten Eltern naturgemäß. Lieber sucht man einen Sündenbock, der das Kinderhirn mit all dieser süssen, bösen Gewalt füttert. Es ist wahnsinnig leicht und scheinheilig, die allein Schuldigen beim für diese Gruppe inzwischen offensichtlich interessantesten dieser Medien zu suchen. Politiker tun genau dieses; was sollten sie sonst tun angesichts der eigenen Handlungs-Unfähigkeit gegenüber einer Tragödie wie Columbine oder Erfurt und der Wählerstimmen von scheinheiligen Eltern, die ihre Rolle als Erziehungspersonen in diesem Bereich gern ignorieren und sich stattdessen lieber rechtlich von dieser Pflicht entmündigen lassen möchten.

Die "seriösen" Medien springen auf die Idee einer neuen, unklaren Gefahr nur zu gern auf, speziell wenn sie sie mit solch extrem emotionalen Schockereignissen in Verbindung bringen und damit nebenbei noch einem populären Konkurrenten in die Suppe spucken können. Sie nehmen in Kauf dass sie damit eine Gruppe von verantwortungsvollen Konsumenten dieses Mediums mitverunglimpfen; unbewusst, dass sie hierbei den bösen Fehler begehen könnten, diese Gruppe sowohl ihres Intellekts, ihres Alters als auch ihrer Grösse zu unterschätzen. Der durchschnittliche Spieler ist inzwischen über 30 Jahre alt, ein Alter in dem man normalerweise sehr gut unterscheiden können sollte. Zum Beispiel zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wahrheit und heuchlerischer Scheinheiligkeit und zwischen einem ernsthafen, recherchierten Artikel und einer populistischen Aneinanderreihung von oberflächlichen Beobachtungen.

Und sowohl diese Medien als auch diese Politiker sind dann erstaunt, dass nicht viel Bereitschaft zu einem ernsthaften Dialog von der Seite signalisiert wird, die sie gerade als realitätsferne Mörder und virtuelle Vergewaltiger brandmarken? Ja sind wir denn noch zu retten?!? Wenn ich meinen Nachbar mit "Hallo, A-loch!" begrüsse, kann ich doch auch nicht erwarten, dass er etwas in der Art wie "Danke, gut, schön sie zu sehen!" erwidert. Das Zauberwort hierfür ist "Respekt"!

Gottseidank bricht das langsam auf. Solche Artikel wie dieser des Herrn Stöcker sollten eigentlich schon ein Relikt einer anderen Zeit sein. Sind sie aber leider noch immer nicht; das Thema Videospiel ist in der Politiklandschaft (zurecht) ein Nebenschauplatz und wird es immer bleiben. Daher werden diese Politiker ob anderer Gründe wiedergewählt und diese Medien ob anderer Themen gelesen. Das ist es nicht, was diese Situation ändern wird, das kann und wird nur die Zeit. Diese Ressentiments bleiben solange bestehen, bis die Generation mit ebendiesen ausstirbt. Und das wird sie.

Ich als einer dieser gebeutelten Spieler sehne diesen Moment durchaus herbei. Ich wäre nur zu gewillt einer ernsthaften Diskussion beizutreten, aber auch ich werde warten müssen, bis die Zeit reif ist. Wir sehen uns in... naja, sagen wir mal zehn Jahren wieder.